Die experimentelle Erforschung der Quantenphysik erfordert empfindlichste Messinstrumente.  Ein Rastertunnelmikroskop (RTM), das bei kyrogenen Temperaturen und im Ultrahochvakuum betrieben wird, erscheint hierzu als besonders gut geeignet.  Der langjährigen Zusammenarbeit zwischen dem Fachgebiet Experimentalphysik 1 / Oberflächenphysik der TU Ilmenau und der Abteilung für Theoretische Physik der TU Dänemark ist es gelungen, eine molekulare Lupe für Quanten-Vibrationen eines zweidimensionalen Materials experimentell zu verwirklichen und eingehend zu verstehen.  Die Ergebnisse dieser gemeinsamen und erfolgreichen Studie wurden kürzlich zur Veröffentlichung in Physical Review Letters, dem wichtigsten Journal für physikalische Forschung, akzeptiert.

Abbildung 1 präsentiert die wesentlichen Ergebnisse.  Fließt der von der RTM-Spitze injizierte Tunnelstrom über Graphen (grün) zum Metall (blau) (Situation I in Abb. 1(a)), dann ist das Spektrum des differentiellen Leitwerts (dI/dV, I: Tunnelstrom, V: Probenspannung) im Wesentlichen strukturlos (Abb. 1(b)).  Die Situation ändert sich deutlich, wenn der Tunnelstrom durch ein Molekül auf Graphen fließt (II in Abb. 1(a)).  Jetzt weist das dI/dV-Spektrum stufenartige Änderungen auf, die symmetrisch um V = 0 auftreten (Abb. 1(c)) und typisch für Schwingungsanregungen sind.  Um den Ursprung der Schwingungen zu erkunden und den zugrunde liegenden Mechanismus aufzudecken, wurden weitere Experimente durchgeführt.

 

Abbildung 1: (a) Seitenansicht der in den Simulationen verwendeten Einheitszelle. In I besteht der Tunnelkontakt aus der Spitze (gelb), Graphen (grün) und dem Metall (blau); in II wird dem Kontakt ein einzelnes Phthalocyanin-Molekül hinzugefügt. (b) Auf Graphen aufgenommenes dI/dV-Spektrum (I in (a)). (c) Auf dem Phthalocyanin-Molekül aufgenommenes dI/dV-Spektrum (II in (a)).

Abbildung 2 zeigt, dass für das Eintreten des Effekts vorab eine orbitale Resonanz des Moleküls erzeugt werden muss.  Ein Phthalocyanin-Molekül (2H-Pc) auf graphenbedecktem Ir(111) erscheint mit einer Kleeblattform und gleichförmigem Kontrast in RTM-Bildern (Abb. 2(a)).  Nach der Abstraktion von pyrrolischem Wasserstoff aus dem Zentrum des Moleküls durch Injektion von Tunnelelektronen mit hoher Energie, also nach Durchführung der Einzelmolekülreaktion 2H-Pc → Pc + 2H (Abb. 2(b)), erscheint das Produktmolekül Pc mit hohem und submolekularem Kontrast (Abb. 2(a)).  Während 2H-Pc eine eher flache Variation des dI/dV-Signals hervorruft (Abb. 2(c)), weist Pc eine ausgeprägte Resonanz in der Nähe von V = 0 auf (Abb. 2(d)).  Interessanterweise liegen für 2H-Pc keine Vibrationsanregungen vor (Abb. 1(b)), wohl aber für Pc (Abb. 1(c)).  Infolgedessen liegt der Schluss nahe, dass die molekulare Resonanz von Pc, die den spektralen Bereich von Schwingungsmoden des Moleküls und Graphens überdeckt, wesentlich für die Beobachtung der spektroskopischen Signaturen ist.

Um weiter Licht auf die Rolle der Resonanz und den Ursprung der Vibrationsanregungen zu werfen, wurden Dichtefunktional- und Nichtgleichgewicht-Transport-Rechnungen in Dänemark durchgeführt.  In Übereinstimmung mit den Experimenten zeigt nur Pc eine Transmissionsresonanz nahe der Fermi-Energie (E = 0 in Abb. 3(a)), welche mit dem entarteten höchst besetzten molekularen Orbital assoziiert ist.  Zusätzlich folgt aus den Rechnungen zwanglos die exerimentell beobachtete Polaritätsasymmetrie des dI/dV-Signals (Abb. 1(c)), die auf die asymmetrische Linienform der Transmissionsresonanz (Abb. 3(a)) zurückzuführen ist.


 

Abbildung 2: (a) RTM-Bild des molekülbedeckten Graphens auf Ir(111) (Probenspannung: 0.78 V, Tunnelstrom: 25 pA, Größe: 8 nm × 5 nm). Ein 2H-Pc- und Pc-Molekül ist mit einem gestrichelten Kreis gekennzeichnet. (b) Illustration der Abstraktion von pyrrolischem Wasserstoff. (c) Auf 2H-Pc aufgenommenes dI/dV-Spektrum. (d) Auf Pc aufgenommenes dI/dV-Spektrum.
Abbildung 3: (a) Elastische Elektronen-Transmissions-Funktion für Pc (durchgezogene Linie) und 2H-Pc (gestrichelt). Die Fermi-Energie liegt bei E = 0. (b) Inelastische Elektronentransmission für Pc und 2H-Pc. G0 bedeutet das Leitwertquant. (c) Inelastische Transmission für Pc, aufgeteilt nach Beiträgen zum Gewicht der Schwingungsmode in der Oberflächenebene (xy) und senkrecht dazu (z). Symbole g und m beziehen sich auf Graphen bzw. das Molekül. Einschub: Vergrößerung des Energiebereichs, in dem eine Schwingungsmode des Graphens mit Polarisation senkrecht zur Oberfläche besonders stark ist. (d) Mischung von Phononmoden des Graphens und Vibrationsmoden des Pc mit Polarisation senkrecht zur Oberfläche.

Die Rechnungen sind darüber hinaus in der Lage, den Vibrationscharakter der inelastischen Signale zu bestimmen.  Dazu wird der inelastische Leitwert aufgeteilt in Komponenten der einzelnen Vibrationsmoden mit Hilfe ihrer Projektionen auf das Molekül und Graphen.  Dazu wird der Modenvektor vλ auf ebene (xy) und senkrechte (z) Bewegungen der Atome des Moleküls (m) und des Graphengitters (g) projiziert: wλX = ΣX|vλ(X)|2 mit XÎ {mxy, mz, gxy, gz} und ΣXwλX = 1.  Individuelle Beiträge zum inelastischen dIi/dV-Signal sind dann definiert als

(ħ=h/(2π), h: Planck-Konstante, e: Elementarladung, σ = ±1, γλσ: inelastische Streurate der Mode λ mit Energie ħωλ, ∂ℑ/∂V: verbreiterte Stufenfunktion) und aufgetragen in Abb. 3(c).  Es ist hervorzuheben, dass Abb. 3(c) ein inelastisches Signal bei 50 meV zeigt, das einen außergewöhnlich starken Beitrag eines Graphen-Phonons mit z-Polarisation aufweist.  Gleichzeitig trägt zu diesem Signal besonders stark eine z-polarisierte Pc-Schwingungsmode bei.  Diese Beobachtungen lassen den zugrundeliegenden Mechanismus für die Verstärkung eine Graphen-Phonon-Signals durch ein adsorbiertes Molekül erkennen.  Offenbar ist neben einer orbitalen Resonanz eine hinreichend hohe Kopplung zwischen Vibrationsmoden mit äquivalenter Symmetrie nötig.  Mit Hilfe der Gewichte wλX kann diese Kopplung oder Vermischung zwischen den Moden quantifiziert werden.  Abbildung 3(d) zeigt die Änderung von wλgzwλmz mit der Schwingungsenergie.  Das Produkt der Gewichte ist maximal, falls für eine spezielle Mode Graphen und Pc gleich stark beitragen.  Dies tritt für die Mode mit Energie 50 meV ein.  Im Fall von Graphen handelt es sich um ein z-polarisiertes akustisches Phonon am hochsymmetrischen M-Punkt der Brillouin-Zone, während es für Pc eine Biegemode aller Isoindol-Gruppen darstellt.  Auch andere Schwingungmoden weisen ein großes Produkt der Gewichte auf (Abb. 3(d)), jedoch ist ihre inelastische Streurate um Größenordnungen kleiner (Abb. 3(c)).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zur Identifizierung neuer Konzepte und neuartiger Mechanismen in der Quantenphysik Modellsysteme ausgesprochen wichtig sind.  Diese können in modernen RTM-Experimenten künstlich hergestellt werden und bieten geeignete Eingangsdaten für zeitgemäße Simulationen.  In der hier präsentierten gemeinsamen experimentellen und theoretischen Arbeit wurde gezeigt, dass ein einzelnes Molekül die inelastischen Signale des Substrats verstärken kann, auf dem es adsorbiert ist.  Hierzu erforderlich ist eine orbitale Resonanz, die den spektralen Bereich der Substratphononen überlappt, sowie die Kopplung zwischen symmetrieäquivalenten Schwingungsmoden des Adsorbats und Substrats.  Die Ergebnisse tragen zum Verständnis des inelastischen Elektronentransports durch Quantenobjekte im Allgemeinen und der Graphen-Phonon-Anregung durch tunnelnde Elektronen im Speziellen bei.

Teile der beschriebenen Experimente wurden mit dem im Rahmen der ForLab-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung beschafften
Tieftemperatur-Rastertunnelmikroskop durchgeführt.  Besonders wichtig für den Erfolg der Experimente war dabei die stete Versorgung mit verflüssigtem Helium aus der ebenfalls im ForLab-Projekt genutzten Helium-Wiedergewinnung.

 

Kontakt

Prof. Dr. Jörg Kröger
Technische Universität Ilmenau
Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaten
FG
Experimentalphysik 1/Oberflächenphysik
joerg.kroeger@tu-ilmenau.de