Campus

Die Fahrradwerkstatt „Wunderrad“ – „Rad fahren ist die Mobilität der Zukunft“

Wir leben in einer Zeit der Wegwerfgesellschaft – (über)schnelles Entsorgen von materiellen Dingen, die wir oft nur kurz nutzen und dann unnötigerweise durch Neues ersetzen. Doch nachhaltig geht anders! Das Team der Fahrradwerkstatt auf dem Campus der TU Ilmenau repariert kostengünstig alte Fahrräder. Wo andere schon aufgeben und die Fahrräder auf den Schrott befördern, gibt das „Wunderrad“ den Rädern eine zweite Chance.

TU Ilmenau/Eva Seidl

Es ist 17 Uhr an einem Donnerstagnachmittag im Juni. Die Sonne knallt auf den kleinen Vorplatz der Fahrradwerkstatt, es ist ungewöhnlich heiß für einen Sommertag in Ilmenau. Der Geruch von Gummi, Feinmechanik Öl und ein wenig Schweiß liegt in der Luft. Im Hintergrund läuft leise eine Rock-Playlist, gerade dröhnt „Bad Moon Rising“ aus den Lautsprechern. Geschäftig arbeitet das Team der Fahrradwerkstatt an sechs verschiedenen Stationen daran, die Fahrräder der Kunden wieder fit zu bekommen. Von Schraubendrehern über Zangen bis hin zu Sechskantschlüsseln liegt verschiedenstes Handwerkzeug in einem geordneten Chaos herum. Die Stimmung ist produktiv und kreativ, aber entspannt. Es wird auf mehreren Sprachen gefachsimpelt, gelacht oder sich einfach unterhalten. Und alle haben ein Ziel: Die Fahrräder wieder auf Vordermann bringen.

Jeden Donnerstag von 17 bis 20 Uhr kommen Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie alle andere Interessierten mit ihren Metall-Patienten auf zwei Rädern zum „Wunderrad“-Team. Das Ziel des Angebots: Das Team, bestehend aus zehn ehrenamtlichen Studierenden, bietet den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit, Fahrräder kostengünstig zu reparieren, Teile zu reinigen und zu warten oder auch einfach nur zum Fachsimpeln vorbeizukommen.

Fabian ist von Anfang an dabei. Der Student ist seit 2013 für die Werkstatt verantwortlich und baute sich 2015 ein Team auf, das seitdem immer weiterwächst:

2009 fing es im Fahrradkeller von Haus L an, aber aufgrund von Brandschutzvorschriften mussten wir umziehen. Mit den ehemaligen Motorradgaragen gegenüber Haus D wurde ein guter Alternativstandort gefunden. Ich war damals allein auf weiter Flur, da kannst du nicht viel reißen. Heute sind wir eine coole Truppe

erzählt er strahlend. Die Werkstatt ist seit diesem Sommer gut besucht.

Wir werden überrannt

sagt Fabian lachend, während er Schrauben festzieht. In der Tat, die Leute stehen mit ihren Fahrrädern bis auf die Straße und warten geduldig darauf, an die Reihe zu kommen.

In der Schlange steht auch Julian, Master-Student an der TU Ilmenau. Sein Mountain Bike hat er seit 2014, langsam kommen die ersten Probleme auf.

Bei mir ist die Kurbelgarnitur schon ziemlich alt und müsste mal getauscht werden

erzählt er, während er sich lässig auf seinem Fahrrad aufstützt. Es ist sein erstes Mal bei der Fahrradwerkstatt, er ist überrascht wie viel los ist. Das Angebot findet der 22-Jährige klasse:

Ich bin super froh, sonst müsste ich in irgendeine andere Werkstatt, mein Fahrrad dort abgeben und etwas bezahlen. Ich würde auch selbst nicht sehen, wie die Reparatur funktioniert. So kann ich etwas dazu lernen und es beim nächsten Mal zuhause vielleicht sogar selbst versuchen.

Das Prinzip der Fahrradwerkstatt ist simpel und vor allem nachhaltig: Anstatt sich ein neues Fahrrad zu kaufen, wird hier mit gebrauchten Ersatzteilen versucht, das Letzte aus den alten Bikes herauszuholen. Fabian ist stolz auf das Konzept: „Wir machen Dinge, bei denen dich eine professionelle Werkstatt wegschicken würde. Es kommen Fahrräder, die sind teilweise in einem erbärmlichen Zustand. Wir nehmen uns aber dessen an, weil wir die Leute mobil halten wollen. Wir haben die Zeit und es kostet nichts“. Mobil zu sein ist auch Julian wichtig: „Ich fahre mit meinem Rad viel zur Uni, hier in Ilmenau ist es mein Hauptbewegungsfortmittel.“ Er und sein Mountain Bike sind inzwischen an die Reihe gekommen und stehen an einer der Stationen. Mit einem speziellen Werkzeug, dem Kurbelabzieher, nimmt er die Kurbel seines Rads ab und baut das neue Kettenblatt ein.

Das Ersatzteil ist zwar benutzt, aber noch in einem guten Zustand

erklärt Julian, während er mit Zahnbürste und Putzmittel das Kettenrad säubert.

An einem der sechs Stationen arbeitet Max, er ist seit 2016 Teil des Wunderrad-Teams. Die Arbeitsklamotten des Studenten sind dreckig, seine Handflächen komplett schwarz – Max arbeitet seit 16.30 Uhr durch, Zeit für eine kurze Pause bleibt fast nie. Erst gegen 21 Uhr, nach dem Aufräumen, kann er aufatmen und sich ein kaltes Bier aus dem hauseigenen Kühlschrank genehmigen. Zufrieden, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen steht er bei seinen Kollegen und schaut glücklich in die Werkstatt:

Für mich ist die Fahrradwerkstatt ein Ort der Entspannung und auch irgendwie ein Therapieraum“. Fabian lehnt sich neben ihn an die Wand und ergänzt: „Es ist die Welt in klein. Es kommt jeder, unabhängig von Nationalität, Kultur oder Sprache.

Sie alle haben nur eine Gemeinsamkeit: Ihr Fahrrad ist kaputt. Und das möchte mit viel Liebe, etwas Fingerspitzengefühl und einem Klecks Kreativität wieder zusammengeflickt werden, bevor es auf dem nächsten Schrottplatz landet. Für etwas mehr Nachhaltigkeit in dieser Wegwerfgesellschaft, denn ist Rad fahren nicht die Mobilität der Zukunft?

Reportage: Eva Seidl

Impressionen aus der Fahrradwerkstatt

Kontakt

Fabian Julius de Planque

Fahrradwerkstatt