Forschung

Den Geheimnissen der Materie auf der Spur

Physiker-Team entwickelt neue Methode für computergestützte Materialforschung

Wie lassen sich sogenannte first principle Berechnungen einfacher und effizienter als bislang nutzen, um Materialien computergestützt zu untersuchen und neuartige Werkstoffe zu entwickeln? Mit dieser Frage beschäftigt sich Max Großmann in seiner Doktorarbeit am Institut für Physik der TU Ilmenau unter Leitung von Prof. Erich Runge. Gemeinsam mit seinem Kollegen Malte Grunert hat der Masterabsolvent der Technischen Physik eine neue Methode für sogenannte GW-Berechnungen entwickelt und so Möglichkeiten eröffnet, um die Geheimnisse der Materie auf atomarer Ebene künftig schneller zu entschlüsseln. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden soeben im renommierten Nature Journal NPJ Computational Materials veröffentlicht:

doi.org/10.1038/s41524-024-01311-9.

molekularen Struktur eines Materials stock.adobe.com/TEERAPONG

Ob beim Design neuartiger Materialien für Energiespeicher oder Medikamente, bei der Vorhersage optischer Eigenschaften von Werkstoffen oder bei der Detektion von Materialschäden: Methoden des maschinellen Lernens halten in jüngster Zeit auch in den Materialwissenschaften verstärkt Einzug. Damit lassen sich unter anderem die optische und die elektronische Struktur, also die Anordnung der Elektronen im Material, untersuchen. Die dabei zu berücksichtigenden quantenmechanischen Wechselwirkungen geben unter anderem Aufschluss darüber, was passiert, wenn ein Material unter Strom gesetzt oder mit Licht bestrahlt wird.

Eine der größten Hürden in diesem schnell wachsenden Forschungsbereich ist jedoch der Mangel an robusten Trainingsdaten, die für eine effiziente Anwendung maschineller Lernverfahren erforderlich sind. Experimente mit hohem Durchsatz sind zwar ideal, aber oft unerschwinglich teuer und arbeitsintensiv. Daher greifen Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler oft auf Computersimulationen zurück, die im Gegensatz zu empirischen Modellen ohne externe Parameter ausschließlich mit analytischen Formeln arbeiten. Sie sind als ab initio oder first principle Berechnungen bekannt.

Die am weitesten verbreitete und bisher erfolgreichste ab initio Methode zur Berechnung der Eigenschaften von Molekülen und Festkörpern ist die so genannte Dichtefunktionaltheorie (DFT). Sie hat in den letzten Jahrzehnten zu großen Fortschritten in der Materialwissenschaft beigetragen und neue Möglichkeiten für die Auswahl und das Design neuartiger Materialien für viele praktische Anwendungen eröffnet – von Solarzellen über Katalysatoren und Batterien bis hin zur Hochleistungselektronik.

Berechnungen einfach, robust und effizient automatisieren

Doch stößt diese Methode aufgrund ihrer Unzulänglichkeiten wie beispielsweise der Tatsache, dass sie die Bandlücke von Halbleitern und Isolatoren stark unterschätzt, langsam an ihre Grenzen. Eine vielversprechende Alternative stellt die sogenannte GW-Methode dar, die bei Studien über die elektronische Struktur und die optischen Eigenschaften von Materialien inzwischen weit verbreitet, jedoch ebenfalls sehr rechenintensiv ist. Sie stand im Mittelpunkt der Untersuchungen von Max Großmann, die er im Rahmen seiner Doktorarbeit gemeinsam mit Malte Grunert am Institut für Physik unter Leitung von Prof. Erich Runge durchgeführt hat. In einem soeben im renommierten Nature Journal NPJ Computational Materials veröffentlichten Artikel mit dem Titel "A robust, simple, and efficient convergence workflow for GW calculations" stellen die Nachwuchswissenschaftler dar, wie sich diese Berechnungen einfach, robust und effizient automatisieren lässt.

"Im Mittelpunkt unserer Untersuchungen stand die Frage: Wie können wir die mit der GW-Methode Daten von vorhergehenden DFT-Rechnungen mit modernen Rechenressourcen innerhalb eines vertretbaren Zeit- und Arbeitsaufwands verbessern?“, erklärt Großmann: „Es war dabei wichtig herauszufinden, wie viele GW-Berechnungen wir in einer angemessenen Zeitspanne durchführen können. Immer mit dem langfristigen Ziel vor Augen, die Daten in Zukunft für maschinelles Lernen nutzen zu können.“

Nachdem die beiden Wissenschaftler zunächst einen im letzten Jahr publizierten Workflow zur Durchführung von GW-Berechnungen in ihren Code implementiert und getestet hatten, stellten sie sich einfache Fragen wie "Kann dieser Workflow robuster, einfacher und effizienter gestaltet werden?", "Muss der Algorithmus so aufwändig sein?" und "Können wir die verschiedenen Konvergenzparameter, die dafür sorgen, dass die Simulation Schritt für Schritt an das best mögliche Ergebnis herankommt, unabhängig voneinander optimieren?".

Die richtigen Berechnungen in der richtigen Reihenfolge

Großmann: „Nach dem Motto 'Das einfachste Modell ist oft das beste‘ beschlossen wir schließlich, unseren eigenen robusten, einfachen und effizienten Workflow zu entwickeln, und führten auf dem lokalen Rechencluster im Universitätsrechenzentrum Berechnungen für 70 halbleitende und isolierende Materialien durch.“ Die Leistung und Genauigkeit dieses GW-Workflows wurde mit dem zuvor veröffentlichten verglichen, wobei weiterhin teure Referenzberechnungen als Vergleich herangezogen wurden. Darüber hinaus wurde untersucht, ob die Unabhängigkeit bestimmter Konvergenzparameter ausgenutzt werden kann, um den Arbeitsablauf weiter zu beschleunigen.

Die Ergebnisse ihrer Studie beschreiben die Wissenschaftler in ihrem Artikel detailliert: „Mit unserem GW-Workflow, der sowohl automatisch als auch manuell einfach zu implementieren ist, kann die Berechnungszeit ohne Genauigkeitsverlust um mehr als einen Faktor zwei reduziert werden“.

Darüber hinaus stellten die Wissenschaftler fest, dass ein weiterer Faktor 10 an Rechenzeit eingespart werden kann, wenn die in der Arbeit gezeigte Unabhängigkeit der Konvergenzparameter genutzt wird.

„Wenn man diese Erkenntnisse in einen Workflow integriert, kann man die rechnerische Effizienz der GW-Berechnung erheblich steigern, ohne den zugrundeliegenden ab initio Code ändern zu müssen, indem man einfach die richtigen Berechnungen in der richtigen Reihenfolge durchführt“, resümiert Großmann. „Damit ist der Workflow ideal für künftige GW-Berechnungen mit hohem Datendurchsatz und ebnet den Weg für den Einsatz von Computersimulationen, die über die DFT hinausgehen, wie beispielsweise die Vielteilchen-Störungstheorie in groß angelegten Material-Screening-Projekten.“ Die neue Methode kann so dazu beitragen, neuartige Materialien für verschiedene High-Tech-Anwendungen künftig besser, schneller und effizienter zu erforschen.

Originalpublikation

Großmann, M., Grunert, M. & Runge, E. A robust, simple, and efficient convergence workflow for GW calculations. npj Comput Mater 10, 135 (2024). https://doi.org/10.1038/s41524-024-01311-9

Max Großmann

Fachgebiet Technische Physik I